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Manchmal packte sie ein Schwindel. Bel hatte dann Probleme mit dem Gleichgewicht, konnte, für ein ehemaliges Model bemerkenswert, nicht zuverlässig geradeaus laufen. Es sei nichts Organisches. Sie habe das abklären lassen. Und mehr könne sie nicht erwarten als die Auskunft, dass Probleme mit dem Gleichgewicht bei ihr nichts Organisches waren.

Und so tappste Bel bald nach dem Aufstehen in ihr Bad, so entschieden, als verspürte sie den dringenden, nicht mehr aufschiebbaren Drang, ihre Blase zu leeren. Sie setzte sich vor den großen Kristallspiegel über dem Waschbecken, der tief genug gezogen war, dass sie sich ganz darin sehen konnte. Dann ermahnte sie laut und eindringlich ihr Spiegelbild, mehr Mut und Zuversicht zu haben: "Deine Sachen sind schön, gut verarbeitet und ihr Geld wert! Es wird schon klappen! Es muss einfach klappen! Und die nächste Kollektion wird noch viel besser werden, Bel! - Hast du verstanden!"

Ihr Spiegelbild nickte ihr dann brav zu.

Doch es funktionierte nicht richtig. Egal zu welcher Tageszeit ich mit ihr zusammen war: stets kreisten Bells Gedanken um die Anerkennung, die sie sich wünschte und die bisher ausgeblieben war.


Am großen Entwurfstisch, wo sie tagsüber saß, nahm ihr Gesicht oft einen milden, ausgeglichenen Ausdruck an, den ich liebte. Betrat dann eine Kundin den Laden, bröckelte dieser Zustand entspannter Konzentration schnell ab.
Wände, Decke und Holzdielen des Verkaufsraumes waren weiß gestrichen und mit mahagonifarbenen Leisten abgesetzt. An den Längsseiten hatte Bel hohe Spiegel anbringen lassen. Die Kleider waren an simple Stangen gehängt, die nicht mit dem Boden, sondern durch dünne, kaum sichtbare Drähte mit der Decke verbunden waren. Eine Kundin, die sich suchend im Raum bewegte, versetzte ihn zugleich in Schwingungen.

An den Stangen hingen Kleider, Röcke, Hosen und Kostüme. Hüte und Schuhe, Gürtel und andere Accessoires lagen wie auf dem Boden ausgestreut. War es auch für Bel oberstes Gebot, eine Kundin gewähren zu lassen, wenn diese sich umschauen wollte, so achtete sie doch darauf, dass sich dem Besucher bald wieder wie neu, das hieß wie unabsichtlich ausgestreut präsentierte.

Mir blieb diese Anordnung fremd. Als ich irgendwann den grünen Pullover für meinen Vater kaufte, fragte ich die Verkäuferin, wo ich grüne Wollpullover finden könnte. Das verstand ich unter Einkaufen.) Als Bel mich nach meinem Eindruck fragte, sagte ich vorsichtig, dass mich die Anordnung ihrem Showroom an ein unaufgeräumtes Kinderzimmer erinnere... Ich befürchtete, dass sie gekränkt sein könnte. (Bel war leicht zu kränken!) Aber nach einem kurzen Nachdenken beugte sie sich zu mir über den breiten Entwurfstisch und gab mir einen herzhaften Kuss: "Das stimmt,Tom! Es ist eben ein Spiel, nicht wahr? Kinder spielen. Und Mode will davon etwas zurückholen und bewahren!"

Ich beeilte mich, ihr zuzustimmen. Auch wenn ich nicht viel von Mode verstand, so schien doch mehr dahinter zu stecken, als ich gedacht hatte. Wenn ich sie von nun an abholte, schaute ich zunächst wie ein xbeliebiger neugieriger Kunde durch die hohen Schaufenster, die etwas altmodisch erst in Brusthöhe begannen. Es war ein altes Haus, in dem früher alles Mögliche untergebracht war.
Oft fand ich Bel dann vor dem Arbeitstisch, wie sie ein wenig geistesabwesend in den Verkaufsraum schaute, als bewegten sich die Kleider, die ihre idealen Trägerinnen gefunden hatten, anmutig im Raum.


An diesem Abend brachte ich - wie so oft - Wein mit und eine Pizza. Bel umarmte mich schon in der Tür und flüsterte in mein Ohr: "Du bist mein einziger Freund!"
Ich wusste zu dieser Zeit schon, dass das nicht stimmte. Aber ich wusste auch, dass jeder Widerspruch sinnlos war. Heißhungrig und unbekümmert aß sie, erzählte von ihrem Tag und zog neue Entwürfe über die Tischplatte, damit ich sie sehen konnte. Zugleich brachte sie noch irgendwelche Änderungen an, die ihr gerade einfielen. Es war wirklich ein Arbeitsessen. Nachdem wir gegessen hatten, stopfte ich die Reste in eine Mülltüte, das Geschirr in eine kleine Spülmaschine. Bel machte Kaffee und fragte, durch das Zischen des Dampfes hindurch nach meinem Tag.
Doch ich hielt meine Reifenpanne auf dem Weg zur Blumenversteigerung für belanglos. Den Zustand meines Vaters hatte ich sowieso verschwiegen. Ich sagte nur, dass er seit einiger Zeit kränklich sei. Es war eine Art von Erklärung, für den doofen Job, den ich machte und vermutlich noch eine Weile am Hals hatte… Aber Bel hörte schon nicht mehr zu.


Warum vögelte sie mit anderen? Warum liebte sie mich nicht?
Noch ging ich einigermaßen regelmäßig einer Arbeit nach, verdiente mein Geld ehrlich, trank kaum mehr als zuvor. Noch war ich in dem allgemein guten Pflegezustand, in dem ich mich befunden hatte, bevor ich sie kennen gelernt hatte - Manchmal hätte ich schreien können.



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Köln, Frühsommer 89


Bisherige Kapitel mit Bel:

Jüdin
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