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< ..Zeigen, wer ich bin [2] ....../ / / .Reichstage. Roman



 

Bels Laden lag am Westrand der inneren City. Es gab den Showroom und angrenzende Räume sowie ein Kellergeschoss, das vom Laden aus begehbar war, groß genug selbst für ein umfangreiches Warenlager. Als ich die Miete hörte, die sie Monat für Monat dafür zahlte, musste ich schlucken. Der Laden war in meinen Augen eigentlich zu teuer.
Bel sagte jedoch: "Gerade noch bezahlbar!"
Sie hatte lange danach gesucht.

In der Ausstattung und in den ersten beiden Kollektionen steckten die Ersparnisse aus ihren Jahren als Model. Und ein hübscher Bankkredit, den sie demnächst noch erweitern wollte. Der vordere Bereich war fast tageslichthell. Hier wurde verkauft. Weiter hinten waren zwei Arbeitstische aufgestellt. Hier wurde ein Teil der Sachen gefertigt. Die Verbindung zum Handwerk sollte sichtbar sein. Möglichst unmittelbar. Eine kleine, feine Manufaktur. Bel wollte das so. Doch schon bald erwies es sich in der Praxis als zu teuer. Auch sollten die Kollektionen umfangreicher werden. Und das war vor Ort nicht mehr zu leisten.

Noch kaufte sie das eine oder andere hinzu oder tauschte mit Designerinnen in München und Hamburg, die andere Schwerpunkte setzten. Auf die Tüten aus einfachem braunen Packpapier hatte Bel in roten Book Antiqua-Lettern ihren Namen drucken lassen und darunter den Satz:

Zeigen, wer ich bin!

Bel arbeitete im Laden nicht allein. Ihr halfen Kayo, eine Japanerin, die vor einigen Jahren mit ihren Eltern nach Düsseldorf gekommen war, und Suzan, eine Türkin kurdischer Herkunft, die schon in Deutschland aufgewachsen war. Beide waren Anfang zwanzig. Sie hatten die streichholzkurz geschnittenen Haare blond gefärbt und teilten sich seit einiger Zeit ein winziges Souterrain im Kölner Westen.

Weder Kayo noch Suzan hatten eine einschlägige Ausbildung, waren Seiteneinsteigerinnen und absolvierten nun eine Trainee on the Job-Ausbildung bei Bel. Als Bel ein oder zweimal von ihnen sprach, hörte ich auch Stolz in ihrer Stimme. Sie mochte die beiden jungen Frauen. Schon als Vierzehn- oder Fünfzehnjährige hatten sie in Volkshochschulkursen Nähen und Zuschneiden gelernt und sich ihre Sachen selbst gemacht.
"Im Grunde war es bei mir ähnlich. Ich habe bei einem griechischen Schneider gelernt. Mein Vater war wütend."
"Warum? Was wollte er?" fragte ich. Sie winkte ab, als würde das zu weit führen. Dann sagte sie mit einem warmen Lächeln: "Im Grunde sind es jüngere Schwestern. Eigentlich ist es unerklärlich: Wo sie sich an meinen Entwürfen zu schaffen machen, bekommt meine europäische Strenge gleich einen sanften orientalischen Einschlag..."
"Aber das ist doch gut! Oder?"
"Schon." Sie zögerte: "Es ist nur, dass ich mich ertappt fühle."
Ich schaute verständnislos. Bel sah wieder auf den Entwurf, den sie vor sich liegen hatte. Ein grünes Seidenkleid, in das sie geometrische Löcher schnitt. In die Freiräume wollte sie Stofffetzen einsetzen. Leuchtende Neonfarben.
"Ich sehe mich nicht so streng, verstehst du?
Ich sehe meine Mode als Spiel! Man probiert etwas aus, bis es passt. So habe ich mir das gedacht! Aber dann kommen diese beiden Girlies, fummeln ein bisschen an den Sachen rum und gleich sind sie irgendwie..." in gespielter Verzweiflung suchte sie nach dem richtigen Wort: "... leichter...! Da stoße ich wohl an meine Grenzen."

Anfangs war Bel, gekleidet in ihre eigenen Entwürfe, durch die Kölner Szene getourt. Vernissagen, Partys, PR-Highlights. Sie bewegte sich hoch erhobenen Hauptes durch das Gewisper und Geschwätz, mit den unerklärlich gerade zurückgenommenen Schultern des Models. Schultern, aus denen die Arme nicht etwa schlaff und sinnlos herab fielen, sondern sich als Teil einer staunenswerten Anmut präsentierten. Ein paar Mal begleitete ich sie.
Bel lachte nur, wenn ich sie bewunderte: "Was du Anmut nennst, ist in Wirklichkeit ein Lob des Handwerks, und ganz sicher nur zum Geringsten angeboren. Weißt du, was ein Ausdruck unerbittlichen Drills ist? Wenn du mich in dieser Weise laufen siehst."

Es war mir im Grunde egal, wie es zustande gekommen war: Die Beine Stück um Stück einander leicht kreuzend nahm ihr Schritt die Bewegung des ganzen Körpers auf, erwies sich eben nicht bloß, da es aufdringlich wirken müsste, als simple Fortsetzung nur eines Teils der Muskulatur (und sei dieser, Hüfte, Becken oder Gesäß, im Einzelnen auch noch so beeindruckend).
Mit unbeirrbarer Sicherheit nahm sie auf diesen Runways ihren Weg, schien den Augenblick geradezu vorauszusehen, wenn ein Objektiv es darauf anlegte, mit ihr zu plaudern. Erst im Verlauf des zweiten Jahres, als man ihr mehr und mehr Einladungen ins Haus schickte, schraubte sie zurück.

Einmal saßen wir am großen Entwurfstisch. Nach Geschäftsschluss, sie arbeitete, ich las die Zeitung, wir hatten zu Abend gegessen, es war angenehm. Plötzlich schaute sie auf und sagte: "Weißt du, Tom, was ich mir mehr als alles andere wünsche?"
Ich schaute auf, sah einen fahrigen Blick, in dem auch Angst steckte, und schüttelte den Kopf. "Was? Sags mir!"
Vielleicht hatte ich in diesem Moment den ebenso großen Wunsch, dass ich etwas mit dem zu tun haben könnte, was Bel sich so sehr wünschte.
"Ganz unvermittelt auf eine Frau zu treffen, die ein Kleid von Bel Buchmann trägt."



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Köln, Frühsommer 89


Bisherige Kapitel mit Bel:

Die Jüdin


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