Bels
Laden lag am Westrand der inneren City. Es gab den Showroom
und angrenzende Räume sowie ein Kellergeschoss, das vom
Laden aus begehbar war, groß genug selbst für ein
umfangreiches Warenlager. Als ich die Miete hörte, die
sie Monat für Monat dafür zahlte, musste ich schlucken.
Der Laden war in meinen Augen eigentlich zu teuer.
Bel sagte jedoch: "Gerade noch bezahlbar!"
Sie hatte lange danach gesucht.
In
der Ausstattung und in den ersten beiden Kollektionen steckten
die Ersparnisse aus ihren Jahren als Model. Und ein hübscher
Bankkredit, den sie demnächst noch erweitern wollte. Der
vordere Bereich war fast tageslichthell. Hier wurde verkauft.
Weiter hinten waren zwei Arbeitstische aufgestellt. Hier wurde
ein Teil der Sachen gefertigt. Die Verbindung zum Handwerk sollte
sichtbar sein. Möglichst unmittelbar. Eine kleine, feine
Manufaktur. Bel wollte das so. Doch schon bald erwies es sich
in der Praxis als zu teuer. Auch sollten die Kollektionen umfangreicher
werden. Und das war vor Ort nicht mehr zu leisten.
Noch kaufte sie das eine oder andere hinzu oder tauschte mit
Designerinnen in München und Hamburg, die andere Schwerpunkte
setzten. Auf die Tüten aus einfachem braunen Packpapier
hatte Bel in roten Book Antiqua-Lettern ihren Namen drucken
lassen und darunter den Satz:
Zeigen,
wer ich bin!
Bel arbeitete im Laden nicht allein. Ihr halfen Kayo, eine Japanerin,
die vor einigen Jahren mit ihren Eltern nach Düsseldorf
gekommen war, und Suzan, eine Türkin kurdischer Herkunft,
die schon in Deutschland aufgewachsen war. Beide waren Anfang
zwanzig. Sie hatten die streichholzkurz geschnittenen Haare
blond gefärbt und teilten sich seit einiger Zeit ein winziges
Souterrain im Kölner Westen.
Weder Kayo noch Suzan hatten eine einschlägige Ausbildung,
waren Seiteneinsteigerinnen und absolvierten nun eine Trainee
on the Job-Ausbildung bei Bel. Als Bel ein oder zweimal
von ihnen sprach, hörte ich auch Stolz in ihrer Stimme.
Sie mochte die beiden jungen Frauen. Schon als Vierzehn- oder
Fünfzehnjährige hatten sie in Volkshochschulkursen
Nähen und Zuschneiden gelernt und sich ihre Sachen selbst
gemacht.
"Im Grunde war es bei mir ähnlich. Ich habe bei einem
griechischen Schneider gelernt. Mein Vater war wütend."
"Warum? Was wollte er?" fragte ich. Sie winkte ab,
als würde das zu weit führen. Dann sagte sie mit einem
warmen Lächeln: "Im Grunde sind es jüngere Schwestern.
Eigentlich ist es unerklärlich: Wo sie sich an meinen Entwürfen
zu schaffen machen, bekommt meine europäische Strenge gleich
einen sanften orientalischen Einschlag..."
"Aber das ist doch gut! Oder?"
"Schon." Sie zögerte: "Es ist nur, dass
ich mich ertappt fühle."
Ich schaute verständnislos. Bel sah wieder auf den Entwurf,
den sie vor sich liegen hatte. Ein grünes Seidenkleid,
in das sie geometrische Löcher schnitt. In die Freiräume
wollte sie Stofffetzen einsetzen. Leuchtende Neonfarben.
"Ich sehe mich nicht so streng, verstehst du?
Ich sehe meine Mode als Spiel! Man probiert etwas aus, bis es
passt. So habe ich mir das gedacht! Aber dann kommen diese beiden
Girlies, fummeln ein bisschen an den Sachen rum und gleich sind
sie irgendwie..." in gespielter Verzweiflung suchte sie
nach dem richtigen Wort: "... leichter...! Da stoße
ich wohl an meine Grenzen."
Anfangs
war Bel, gekleidet in ihre eigenen Entwürfe, durch die
Kölner Szene getourt. Vernissagen, Partys, PR-Highlights.
Sie bewegte sich hoch erhobenen Hauptes durch das Gewisper und
Geschwätz, mit den unerklärlich gerade zurückgenommenen
Schultern des Models. Schultern, aus denen die Arme nicht etwa
schlaff und sinnlos herab fielen, sondern sich als Teil einer
staunenswerten Anmut präsentierten. Ein paar Mal begleitete
ich sie.
Bel lachte nur, wenn ich sie bewunderte: "Was du Anmut
nennst, ist in Wirklichkeit ein Lob des Handwerks, und ganz
sicher nur zum Geringsten angeboren. Weißt du, was ein
Ausdruck unerbittlichen Drills ist? Wenn du mich in dieser Weise
laufen siehst."
Es
war mir im Grunde egal, wie es zustande gekommen war: Die Beine
Stück um Stück einander leicht kreuzend nahm ihr Schritt
die Bewegung des ganzen Körpers auf, erwies sich eben nicht
bloß, da es aufdringlich wirken müsste, als simple
Fortsetzung nur eines Teils der Muskulatur (und sei dieser,
Hüfte, Becken oder Gesäß, im Einzelnen auch
noch so beeindruckend).
Mit unbeirrbarer Sicherheit nahm sie auf diesen Runways ihren
Weg, schien den Augenblick geradezu vorauszusehen, wenn ein
Objektiv es darauf anlegte, mit ihr zu plaudern. Erst im Verlauf
des zweiten Jahres, als man ihr mehr und mehr Einladungen ins
Haus schickte, schraubte sie zurück.
Einmal
saßen wir am großen Entwurfstisch. Nach Geschäftsschluss,
sie arbeitete, ich las die Zeitung, wir hatten zu Abend gegessen,
es war angenehm. Plötzlich schaute sie auf und sagte: "Weißt
du, Tom, was ich mir mehr als alles andere wünsche?"
Ich schaute auf, sah einen fahrigen Blick, in dem auch Angst
steckte, und schüttelte den Kopf. "Was? Sags mir!"
Vielleicht hatte ich in diesem Moment den ebenso großen
Wunsch, dass ich etwas mit dem zu tun haben könnte, was
Bel sich so sehr wünschte.
"Ganz unvermittelt auf eine Frau zu treffen, die ein Kleid
von Bel Buchmann trägt."