Das Hörspiel basiert auf der gleichnamigen Erzählung, die in dem Band: Die Liebe am Nachmittag.
Liebesgeschichten, bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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D i e G r o ß e W o c h e


Ein Hörspiel

 

Erzählt wird die Liebesgeschichte eines kolumbianischen Drogenbarons und einer badischen Hausfrau mit drei Kindern zur Zeit der Baden-Badener 'Großen Woche'.

Es gibt drei Handlungsstränge:

- die Liebe von Don Rodrigo Abalás und Therese Münch, u. a. gesehen durch die Perspektive von Thereses Kindern.

- den Machtkampf um die Führung eines Drogenkartells in Medellín

- die Selbstbehauptung der Stadt Baden Baden

Die Große Woche ist ein Spiel mit verschiedenen Sprachakzenten, Dialekten und Sprechebenen, aneinandergefügt durch schnelle Schnitte, rhythmisiert durch eine Reihe von akustischen Leitmotiven und einen Erzähler und schließlich in der Schwebe gehalten durch einen Grundton von Ironie, der den Personen jedoch ihren Ernst und ihre Würde belässt.




 

 

D i e G r o ß e W o c h e


1 altfranzösisches Wiegenlied, gesungen von Rodrigos Mama.

Hazienda in Kolumbien. Reitbahn. Alfonso und Rodrigo steigen von den Pferden.

2 Rodrigo
Es ist zu heiß. Mir reicht es für heute.

3 Alfonso
Du bist satt und faul geworden, Onkel. Du erinnerst mich an die fetten Schweine vom Unternehmerverband.

4 Rodrigo
Und du redest wie die fetten Schweine von den Gewerk-schaften Alfonso, willst du eine Abreibung? Das kühlt.

Sie ringen miteinander. Man hört ihr Keuchen, dann ihr Lachen.

5 Alfonso
Ahhh! Du brichst mir den Arm.

6 Rodrigo
Gibst du auf, mein Kleiner?

7 Alfonso
Ja, großer Onkel.

Sie klopfen den Staub von den Kleidern.

8 Rodrigo
Du hast viel Staub geschluckt, Alfonso. Komm, trinken wir was.

9 Alfonso
Nicht mehr lange, Rodrigo, dann bin ich soweit.

10 Rodrigo
Ja - wenn ich es dir sage.

11 lautes Signalgeben einer Dampflokomotive, bevor sie über eine Brücke fährt

Baden Baden. Spielcasino. An Spieltisch. Man spielt Poker.

12 Banker
Mein Name ist Jens Jessen. Ich bin im Vorstand einer großen norddeutschen Privatbank und weiß von nichts. Noch eine Karte bitte.

Südfrankreich. Im Swimmingpool. Französischer Radiosender in Hintergrund.

13 Helen
Bei seinen Freunden schätzte er Selbstbewusstsein. Wenn man so will: einen mit Widerhaken gepaarten Geist. Also nichts, womit unsereiner groß wird.

14 Antigua
Er wollte reden, immer reden: über die wirklich wichtigen Dinge, über das Leben, über die Liebe. (sie begreift es nicht) Ein Mann wie er, mit einem Riesenvermögen, mit einem Fingerzeig Herr über Leben und Tod, und er wollte darüber reden. - Helen, schwimmen wir noch eine Runde?

15 Helen
Keine Lust, meine Süße.

Baden Baden. Küche. Therese kocht. In Hintergrund spielende Kinder.

16 Susi
Mama schrie, wenn sie Liebe machte.

17 Johannes
Nur wenn sie mit Rodrigo Liebe machte. Aber sie hat uns erklärt, warum das so sein musste.

18 Tania
War nicht so schlimm.

19 Susi
Nur für die Leute im Hotel war es schlimm.

Baden-Baden. Halle des Parkallee Hotels

20 Empfangsdame
(mit Schwung) Mein Gott! Es war eigentlich nichts dabei: Jedes Jahr trafen sich in Baden Baden zur Großen Woche die schönsten Huren Europas, die reichen südamerikanischen Drogenbosse, Banker, Industrielle und Politiker, um ihre Geschäfte zu machen. Und viele von ihnen haben bei uns im Hotel gewohnt. Wo denn sonst? Ach ja ich bin Jeanette Launder, die Empfangsdame des hiesigen Parkallee Hotels, und würde mich freuen, auch Sie einmal bei uns begrüßen zu dürfen.

21 Eine einspännige Kutsche fährt über die Lichtentaler Allee. Klappern der Hufe.

Johannes, Sohn der Therese Münch, 10 Jahre, als Erzähler

22 Johannes
Immer der Reihe nach. Erst unser Vorspiel. Es findet statt im Speisesaal des Grandhotels Pura Vida, im Norden von Medellín. Zwei oder drei Jahre bevor es hier losgeht. Können aber auch vier gewesen sein. Und keine Angst, Ladies und Gentlemen: Wir geben eine synchronisierte Fassung. Hereinspaziert. Hereinspaziert.

23 südamerikanische Volksmusik: ausgelassen

Medellín. Speisesaal des Hotels Pura Vida. An einen Tisch essen fünf Männer. Halblaute, nur zum Teil verständliche Stimmen, es wird gezischelt, gelacht, mit vollem Mund geredet. Lärmiger, temperamentvoller Hintergrund.

24 Don Eusebio
Alfonso, wie geht es deinem Papa? Was hast du von ihm gehört? Es ist eine Schande für unser Land, dass wir unsere besten Männer den amerikanischen Gringos zum Fraß vorwerfen. Und sag doch bitte dieser hübschen kleinen Bedienung, dass ich noch etwas Wein in meinem Glas wünsche.

25 Alfonso
(ruft mit vollem Mund in den Hintergrund)
He Kleine! Noch Wein für Don Eusebio!


26 Don Eusebio
Rodrigo, dein Papa war es, der das Unternehmen aufgebaut hat, aber Alfonsos Papa, dein älterer Bruder, hat es groß gemacht. Nicht zuletzt gegen all die lieben Freunde und Kollegen hier in Medellín, die keine Konkurrenz wünschten. Pfui!

27 Kellnerin
(kommt an den Tisch) Wein für Don Eusebio? (gießt ein)

28 Don Eusebio
Ja, so ist es recht, und noch etwas von der feurigen Soße, meine Kleine. Du hast einen hübschen Arsch, weißt du das?

29 Kellnerin
Ja, Don Eusebio. (die Kellnerin verteilt Soße und geht dann:) Stets zu Diensten, Don Eusebio!

30 Don Eusebio
Habt Ihr das gehört? Sie weiß es! Nun ja - aber dein Bruder, Rodrigo, hat sich schließlich durchgesetzt, hat er nicht? Was sagt Ihr, Pepe, Eure Eminenz, und du, Don Castillo, der sich Senator schimpfen lässt? Na also. Das Fleisch ist gut heute, findet ihr nicht? Und später gegen die Chinesen: Was für ein Gemetzel! Die verdammten Schlitzaugen hätten uns fast an den Eiern gehabt. Aber Medellìn,  Kolumbiendein Bruder hat es geschafft. Er hat den spanischen Markt erschlossen, als Sprungbrett für Europa. Aber jetzt sitzt er in den USA hinter Gittern, für hundertzwanzig Jahre als ob er ein gewöhnlicher Verbrecher wäre. Was soll er da, fern der Heimat? Was ist das für eine Welt? Sag mir das, Rodrigo. Wo ist die gottverdammte Gerechtigkeit? Aber dafür seid Ihr zuständig, Pepe, Eure Eminenz. Ich kenne dich schon, als du noch der dreckigste aller Straßenjungen in den Barrios warst. Meine Familie hat dich zu den Schulbrüdern geschickt, und die haben dir deine ewige Rotznase geputzt und das Lesen beigebracht. Was sagt dein alter Herr da oben zu seiner Gerechtigkeit?

31 Eminenz
Die Wege des Herrn sind unergründlich, mein lieber Euse-bio. Aber wir lassen für den Don beten: Wir haben das Kloster Santa Maria de las Flores mit seinen fünfundsiebzig Nonnen und den vierzehn Novizinnen aus den besten Familien des Landes nur für diesen Zweck abgestellt. Sie beten Tag und Nacht für ihn.

32 Don Eusebio
Hundertzwanzig Jahre lang? Zum Teufel mit deinem alten Herrn, Pepe, Eure Eminenz. Mach gefälligst etwas mehr Druck. Das ist das Wenigste, was die Familie verlangen kann. - Rodrigo, mein Sohn, sag mir: Wie alt bist du jetzt? Nein, warte: Ich habe dich auf dem Arm gehalten, als du ein Baby warst. Und zu deinem dritten Geburtstag habe ich dir dein erstes Springmesser geschenkt. Das ist so unendlich lange her, dass ich traurig werde über all die vergangene Zeit. Alfonso, wink mir noch mal diese kleine Bedienung mit dem hübschen Arsch. Weiß jemand, wie sie heißt? Sonst fragt Emilio, den Wirt, er ist der Familie noch eine Gefälligkeit schuldig. Rodrigo, sagen wir einfach, dass du jetzt vierzig bist. Wenn wir uns zwei oder drei Jahre ersparen, macht mich das nicht ganz so alt vor diesem jungen Ding. Alfonso, frag Emilio mal, wer ihr Vater ist und wie sie heißt und ob sie nicht für mich arbeiten will. An einigen Tagen in der Woche. Sie soll mir vorlesen. Das klingt so respektvoll, findet ihr nicht? Und sei großzügig. Sie hat so einen hübschen Arsch.

33 Alfonso
(legt sein Besteck ab, schiebt seinen Stuhl zurück,
kauend)
Ja, Don Eusebio, ich werde fragen. (geht)

34 Don Eusebio
Rodrigo, hör mir zu! Dein Neffe Alfonso ist tüchtig, aber noch ein wenig zu jung. Wenn ich es bin, der das sagt, wird er es verstehen und dazu respektvoll schweigen. Höre also, mein lieber Junge, deine Arbeit wird nicht schwierig sein. Lass dir nur raten. Dazu sind wir hier: Pepe, Eure Eminenz, Don Castillo, dein Onkel, der sich Senator nennen lässt, und meine Wenigkeit. Schau, du bist in der beneidenswerten Lage, dass die Gelder wie von alleine fließen. Und keine Angst: das Unternehmen ist zu groß und zu verzweigt, um einfach zerschlagen zu werden. Viele Arbeitsplätze hängen von unserem Wohlergehen ab. Wir haben Einfluss, unsere Meinung wird gehört und wer sie ignoriert, dem lassen wir die Hoden abschneiden und in die Ohren stopfen, damit es jeder sieht. Es gibt genug tapfere Burschen auf den Straßen, die sich danach drängen, uns diesen kleinen Gefallen zu tun.

35 Senator
Deine eigentliche Aufgabe, Rodrigo, mein Bester, besteht nur noch darin, die Gewinne sicher anzulegen, außerhalb des Drogengeschäfts. Als Senator kann ich dir garantieren, dass uns das Außen- , das Wirtschafts- und das Finanzministerium dabei unterstützen werden. Willst du das für die Familie tun?

36 Eminenz
Rodrigo, mein Junge. Du hast auf meinen Knien gesessen, und ich habe dir die ersten Gebete beigebracht. Du bist wie ein Sohn für mich, den man sich nicht besser wünschen kann. Und du hast diese Schulbildung, die man heute braucht in der Welt, selbst in Nordamerika unter den gottverdammten Gringos, diesen Hurensöhnen, die deinen Onkel... aber lassen wir das.

37 Senator
Du spuckst keine Knochen auf den Tisch, und du trinkst einen Chateau Latour nicht aus der Flasche - du kannst dich benehmen, habe ich Recht? Selbst bei den Frauen weißt du dich zu benehmen. Ich sage dir, das wird immer wichtiger auf den internationalen Märkten.

38 Don Eusebio
Du wirst mit deiner Privatmaschine über London, Prag und Zürich nach Baden-Baden fliegen. Such dir ein oder zwei zuverlässige Huren aus, die dich begleiten. Schau dich um und mach deine Geschäfte. In zwei oder drei Jahren ziehen wir uns aus der Geschäftsführung zurück in den Aufsichts-rat. Dann wirst du die Geschäfte allein übernehmen. Pepe, Eure Eminenz, hat schon recht: Dein Bruder war ein großer Kämpfer. Aber du weißt dich zu benehmen. Das ist wichti-ger.

39 Eminenz
Und noch zwei Dinge werden wir dir sagen: Es gibt in Ba-den-Baden eine Quelle, von der man trinkt, um sich bis ins hohe Alter Ausdauer und Kraft zu erhalten, bei den Damen. Frag Don Eusebio, wenn du glaubst, dass ich nicht weiß, wovon ich rede, nur weil ich das Kardinalsrot trage. Du kannst aber sicher sein: Bevor er dieses junge Ding kommen lässt, um sich vorlesen zu lassen, wird er ein oder zwei Gläser aus seinem Vorrat trinken.

40 Don Eusebio
Gott ist mein Zeuge! Seit über fünfzig Jahren trinke ich von dem Zeug, und noch nie hat sich eine Frau beschwert.

41 Senator
Wollt ihr ihm eure Sorgen einreden, ihr alten Böcke? Die andere Wohltat der Quelle ist viel wichtiger…

42 Don Eusebio
Ja, ja, schon gut. Damals, als ich zum ersten Mal in Europa war, um gegen die Roten zu kämpfen, hat mir ein Mann erzählt, dass die Quelle das Leben verlängere. Mit jedem Glas gewinnt man einen Tag. Es war ein deutscher Offizier, der mir den Tipp gab. Sein eigener Vorrat ging vor Stalingrad zu Ende.

43 Senator
Rodrigo, mein Sohn, du hast nicht wenige Menschen ster-ben sehen: auch deinen Vater, und Maria Ibanez, deine Frau, diese verräterische Hure. Darum halte solche Rat-schläge in Ehren und trinke in Baden-Baden von der Quelle - ganz gleich zu welchem Zweck.

44 Don Eusebio
Und nimm dir stets einen Vorrat mit nach Hause.

45 Senator
Und Gott schütze dich, Rodrigo, dass du nicht in die Hand der Gringos fällst, dieser gottverdammten Hurensöhne!


46 Don Eusebio
Pepe, Eure Eminenz, so steh gefälligst auf und segne ihn. - Alfonso, wo bleibst du denn? Hast du die Kleine respektvoll gefragt? Sie hat so einen hübschen Arsch.

47 wildes Feuern mit Maschinenpistolen

Johannes als Erzähler. Zugleich: Start beim Pferderennen.

48 Johannes
Drei Jahre später. Können aber auch vier gewesen sein. Wir zeigen Baden Baden zur besten Spielzeit: in der Großen Woche. Nun mach schon, Rodrigo! Und dann trinken wir Tee, grünen Tee.

Donnernde Hufe vor der Tribüne. Zieleinlauf.

49 Rodrigo Abalás
Im Grunde war ich nie hier.

Stadtmuseum. Knarrender Holzfußboden, auf dem sich die Stadtarchivarin bewegt.

50 Stadtarchivarin
Es heißt, das sei der einzige authentisch verbürgte Satz gewesen, den Senor Abalás in Baden Baden hinterlassen hat. Mein Name ist Birgit Welsch. Ich bin die Leiterin des Stadtarchivs. Für mich als Historikerin ist das ein interessantes Phänomen: Obwohl dieser Mann über sechs Jahre hinweg zweimal jährlich in die Stadt kam, das beste Hotel bewohnte und am gesellschaftlichen Leben teilnahm, um seine Geschäfte abzuwickeln, gab es nach dieser Zeit kaum eine Spur von ihm.

51 südamerikanische Volksmusik: ironisch

Halle des Parkallee Hotels

52 Empfangsdame
Es war schon bemerkenswert: Während unsere Zimmermädchen sich am Morgen normalerweise durch Schwaden süßlich-brennenden Haschischgeruchs zu den Fenstern kämpften, um die Räume zu lüften, und in der Rennwoche die verschärfte Anweisung galt, den feinen Kokainstaub von den Glastischen zu wischen, übten sich gerade die Südame-rikaner in Puritanismus, jedenfalls, was Rauschgift anging. Sie achteten peinlich darauf, kein Zehntelgramm bei sich zu tragen. Von ihren Leibwächtern wurde erwartet, dass sie die Schnellfeuerpistolen, die sie mit sich führten, für die Dauer des Aufenthaltes im Safe des Hotels deponierten. Zeitweise häuften sich die Waffen so, dass Verwechslungen vorkamen und eine Art Garderobenmarke eingeführt wurde.


Im Swimmingpool. Französischer Radiosender in Hintergrund.

53 Helen
Mon Dieu! Das sind Äußerlichkeiten. Monsieur Abalás küm-merte sich nicht um solche Dinge. Fragen Sie Antigua, wenn Sie mir nicht glauben. Er war mit seiner Maschine wie immer über London, Prag und Zürich nach Baden-Baden gekommen und hatte uns an der Côte aufspüren lassen, wo wir den Sommer über arbeiteten.

54 Antigua
Mademoiselle Helen ist zwar nur eine Pariser Hure mit britischem Pass und Wohnsitz in der Schweiz, aber es stimmt, was sie sagt. Don Rodrigo Abalás war wieder einmal gekommen, um Geschäfte zu machen, bei denen er sein Geld in Europa anlegen konnte. Drogen und Waffen durften nicht in seine Nähe.

55 Helen
Und für alles andere hatte er uns.

mosaik