'Fragte man jetzt nach ihrem Glück' - Eine Literaturaktion im Botanischen Garten von Köln

Die Frechener Hauptstraße

Die Große Woche

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Literaturaktionen

 

Literatur nicht nur in Büchern zu veröffentlichen, das hat mich immer schon interessiert. Dabei gibt es (wie bei den meisten Dingen) Theorie + Praxis.

Die Theorie habe ich in meinem Roman Patrizia sagt beschrieben (siehe die Leseprobe unten). Die Praxis ist in der linken Spalte mit einigen Links zu Literaturaktionen vertreten.


 

ACTIONLIT!

[aus: Jochen Langer: Patrizia sagt. Roman]

Mit Ulf Besgen, dem Lyriker und Hörspielmacher, gründete ich ACTIONLIT! Wir mieteten für drei Dekaden eine Werbewand, wie sie aufdringlich und hässlichüberall zu finden ist, und beschrieben die zwölf Quadratmeter jeden Tag mit einem frischen Gedicht. Die Reaktion war unvergleichlich: Alle kamen.

Zu einer Session mit Schulklassen auf dem Marktplatz einer Kreisstadt ("Lyrik vor Ort, live!") ließ sich der Reporter einer Illustrierten aus Hamburg einfliegen. In einer rheinischen Boulevardzeitung erschien unter der Überschrift 'Weißer Riese kämpft gegen Liebesgedichte!' ein Foto, das uns lächelnd zeigte auf schwankender Leiter, mit Kleister und fliegenden Papierbahnen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und orkanartigen Böen versuchten wir, die Waschmittelwerbung mit einem Liebesgedicht zu überkleben. Aber mein Tankwart erkannte mich wieder.

Wir lernten die Studios der Rundfunkanstalten kennen, und schließlich hatten wir einen Fernsehauftritt: drei Minuten zur besten Nachrichtenzeit, davon zwölf Sekunden für ein eigenes Statement, einen zweigliedrigen Satz, den sich Ulf und ich teilten.

Wir dachten uns weitere Aktionen aus, wollten Gedichte auf Plastiktüten in Millionenauflage, wollten uns in ganzseitigen Anzeigen anbieten: Rent a Dichter! Wir waren auf der Suche nach neuen Vermittlungsformen von Literatur: außerhalb der bekannten Träger, unterhalb der gefürchteten Schwellen, wir wollten demokratische Vermittlungsformen, massenhafte Rezeption, wollten die potentiell demokratischste und massenhafteste Rezeption! Denn die Straße schloss niemanden aus, keinen Arbeiter, keinen Lehrling, keine Hausfrau, nicht einmal Türken; wenn sie sich für deutschsprachige Lyrik interessierten.

Es gab Stimmen, die Zweifel äußerten. Die unterstellten, wir trieben vor allem für die Werbeflächen Werbung.

Miesmacher! sagte Patrizia. Agents provocateurs!
Die als Proletarier verkleidet "Schmiererei!" in ein Mikro rülpsten.

Als es ruhiger wurde, schauten wir die Pressemappe durch, die Patrizia mit unerbittlicher Konsequenz anlegte.

Ein Foto, das sie unter der Rubrik Kuriositäten gefunden hatte. Ich erinnerte mich. Es muss sehr kalt gewesen sein an diesem Tag. Ulf und ich waren in Mäntel gehüllt und hatten Mützen bis über die Ohren gezogen. Der Fotograf hatte uns vor die Plakatwand dirigiert, in den Händen unsere Utensilien, die wir übertrieben in die Höhe halten mussten: einen Filzschreiber und einen Kleisterpinsel. Im Hintergrund glitzerten Lichterketten, letzte Zeugen des Weihnachtsgeschäfts.

Patrizia sagte: "Ihr seht aus wie Weihnachtsmänner, die das Fest verschlafen haben."

Bis sich die Enttäuschung gelegt hatte, gingen wir uns aus dem Weg. Das dauerte ein paar Monate. Wir hatten uns ein Manifest gegeben und es auf dem Jahrmarkt verhökert. Wir waren Verkäufer geworden. Wer liebte unsere Gedichte? Wer liebte uns?

Patrizia sagte: "Jedenfalls nicht die potentiell demokratischste Öffentlichkeit."

 

mosaik