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< .... ..Glück [6] .............../ / / .Reichstage. Roman in 100 Teilen




Mitte Mai 89 wurde Hauptmann Frederik Thorn nach Berlin, Hauptstadt der DDR, gerufen. Keine dienstliche Angelegenheit. Aber Ruthenbeck wollte ihn sprechen, was von größerer Bedeutung war. Der Chauffeur brachte sie in den Volkspark am Weinberg.


Im Wagen winselte Quartz, Ruthenbecks Rauhaardackel, nicht bereit, alte Gewohnheiten aufzugeben. Sein Herr, der Politbürogeneral, verlegte inoffizielle Gespräche deshalb ins Grüne.

"Tiere", sagte er augenzwinkernd, als sie ausstiegen, schaffen eine so menschliche Atmosphäre."

Folgerichtig wandte sich der alte, mit sichtbarer Anstrengung sehr aufrecht gehende Mann Frederik erst zu, nachdem der Hund damit begonnen hatte, die über Nacht aufgeworfenen Maulwurfshügel zu untersuchen.

"Wie gefällt es dir da unten in Leipzig, Frederik?"

Frederik vertraute Ruthenbeck zwar, wusste aber nicht, was von ihm erwartet wurde. Deshalb antwortete er ausweichend: "Ich bin immer noch dabei, mich einzugewöhnen. Im Umfeld der Nikolaikirche gibt es einige sehr aktive Oppositionsgruppen. Friedensbewegte, Umweltschützer, Menschenrechtsgruppen, Sie wissen schon. Ich habe Kontakt zu einer der Frauen aus dem festen Kern. Ihr Vater ist Pfarrer, allerdings an einer anderen Leipziger Kirche. Sie vertraut mir." Er konnte ein selbstgefälliges Lächeln nicht unterdrücken: Zurzeit mache ich mich fit in staatsfeindlicher Hetze. Die verschiedenen Gruppen wollen ein ‘Forum’ bilden und planen ein einheitliches Programm."

"Ist es schwer, dort mitzudenken?"

Frederik wusste, worauf Ruthenbeck aus war, fragte aber dennoch: “Was meinen Sie?"

"Na, auf der Seite der Opposition zu sein. Die Sache des Sozialismus von dieser Seite aus zu sehen."

"Nein. Es ist einfach."

Ruthenbeck lachte. Für einen Moment hellte sich seine ernste Miene auf. Ein glücklicher Ausdruck huschte über sein Gesicht, das nun nicht mehr nur knochig wirkte, sondern weicher erschien. Ruthenbeck hatte einen spielerischen Ton angeschlagen, und sein Patensohn reagierte, wie er es sich erhofft hatte. Gierig sog er die Parkluft ein, mit ihrer milden Illusion von reiner Luft.

"Wir machen uns seit geraumer Zeit Sorgen!" begann er dann neu. Die Stimmlage nahm wieder offiziösen Charakter an: “Sorgen, dass sich die DDR mehr und mehr abschottet."

"Wer ist ‘wir’?"

"Einige Freunde und ich. Die Genossen im Politbüro blocken alle Reformbemühungen ab, wie Gorbatschow sie vorgeschlagen hat. Hast du die Bilder gesehen, wie Horn und der österreichische Außenminister den ‘Eisernen Vorhang’ durchtrennt haben?"

Frederik schüttelte den Kopf: “Ich hatte Einsatzbesprechung. Aber ich weiß natürlich Bescheid."

"Für den Moment habe ich geglaubt, mein Herz setzt aus! Wir waren gerade beim Abendessen, Marianne und ich..."

Zwei junge Frauen überholten sie, die halb gesenkten Köpfe einander zugewandt: “...da war ich natürlich von den Socken!" sagte die Kleinere, die ein rotweißblau kariertes Kopftuch trug. “Und weiß du, was er sich noch geleistet hat?"

Ruthenbeck wartete, bis sie vorüber waren. "Was glaubst du", fragte er dann, “wie es weitergeht?"

"Mit Ungarn?" Ruthenbeck nickte und rief den Dackel heran. “Das müssten Sie eigentlich besser wissen als ich, General. Ich wühle nur ein bisschen unter den Basisgruppen. Über meinen Schreibtisch läuft kein Bericht, wie das Politbüro damit umgehen will, wenn uns der Kapitalismus näher rückt..." Er zögerte einen Moment: “... sodass viele nicht anders können als zupacken!"

"Wirst du auch zupacken, Frederik?"

"Ich habe lange Zeit geglaubt, meinem Vater etwas beweisen zu müssen: nämlich, dass man ein guter Kommunist sein kann, auch ohne den stalinistischen Methoden nachzutrauern. Er hat mich deshalb für einen Schwächling gehalten. Für ihn gab es nur das Glück der Partei, das mit allen Mitteln durchzusetzen war!"

"Und was gilt für dich das Glück der Partei?"

In Ruthenbecks Stimme klang neben leiser Ironie auch Sorge mit.

"Für mich? Wenn Sie vermuten, ich hätte den Subjektivismus für mich entdeckt und hielte das Individuum für den alles entscheidenden Kern der Sache - : Nein! Wirklich nicht! Aber ich habe gesehen, was aus Vater geworden ist: Das war nicht schön. Nicht für mich, nicht für Mutter. Auch nicht für ihn! Das war kein Glück, Genosse General, das er in der Partei gefunden hat. Da bin ich mir sicher.“

"Was wird dann aus dem Sozialismus, Frederik? Und was aus der Republik?"

"Ich weiß nicht." Frederik's breite Schultern wirkten jetzt runder. Die Arme schienen aus der straffen militärischen Haltung entlassen und wussten nicht recht wohin. Er hatte die Stellung des Patensohnes eingenommen, bemüht, aufrichtig zu sein. “Es kann nicht so bleiben, wie es ist!" sagte er mit gedämpfter Stimme. “Aber ich bin auch keiner von denen, die gleich wegrennen. Ich meine, ich habe an sich keine Angst vor dem Sozialismus. Doch ich kenne verdammt viele Leute, die wirklich gute Gründe dafür haben. Genosse Honecker tut immer noch so, als wären Chinesen oder Rumänen unsere direkten Nachbarn."

Der General lächelte: “Und als läge jenseits der Ostsee Kuba!" Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher geschritten waren, fuhr Ruthenbeck fort: “Ich glaube nicht, dass es von Seiten der Sowjetunion eine militärische Intervention oder so was geben wird. Schau, was Walesa in Polen macht! Wenn Gorbatschow auch nur ein bisschen ernst genommen werden will, von wegen Perestroika und Glasnost, muss er die Ungarn gewähren lassen."

Frederik dachte daran, dass man den General schon vor Jahren abgeschoben hatte. Er war einflussreich, aber seine Informationen bezog er vermutlich nur noch aus zweiter Hand.

Ruthenbeck blieb stehen und schaute ihn aufmerksam an: “Weißt du, im Politbüro herrschen abenteuerliche Vorstellungen darüber, wie man Reformen entgehen kann. Honecker ist krank. Alles wartet erst einmal ab wie das Kaninchen vor der Schlange. Die Genossen sind ohne Konzept, wie man auf die Reformen reagieren soll." Ruthenbeck wurde lebhaft: “Was machen wir, Frederik, wenn im Sommer alle nach Ungarn reisen wollen?"

"Um in den Westen zu kommen?"

Ruthenbeck nickte: “Wenn das passiert, möchte ich, dass du die Lage vor Ort beobachtest. Du bekommst Papiere, Geld und so weiter. Aber das ist kein Auftrag, den wir an die große Glocke hängen werden, verstehst du?"

"Ja.“

"Du beobachtest das ‘Freizeitverhalten’ von Bürgern der DDR in Ungarn. Ich will deine Einschätzung der Lage. Nicht das übliche Observationsgeschwafel." Frederik zeigte, dass er verstanden hatte. "Zuvor sollst du noch etwas anderes für mich tun. Du wirst zu einem bestimmten Zeitpunkt ein kleines Päckchen in die BRD schaffen. Wenn es soweit ist, wird es dir mein Fahrer übergeben. Er wird dich auch mit den notwendigen Instruktionen versorgen. Kennst du dich aus mit deutschen Volksliedern?"

Frederik legte unmilitärisch die Stirn in Falten. Er wusste nicht, worauf der General hinauswollte: “Was man so kennt..."

"Gut!"

"Was ist das für ein Päckchen, Genosse General?"

"Das ist nicht weiter von Belang für dich, Frederik. Nur so viel: Es kann in der weltpolitischen Lage von weit reichender Bedeutung sein..."

Das war die übliche Parteitagsfloskel. Frederik sah daran, dass Ruthenbeck ihm nicht wirklich traute - oder dass er ihn schützen wollte.

"Wann wird die Übergabe sein?"

"Das hängt davon ab, wie sich die Lage entwickelt. Wir sprechen noch darüber. Heute Abend werden ein paar Freunde bei uns zu Gast sein... wenn du es einrichten kannst, komm bitte! Marianne würde sich ganz arg freuen, dich wieder zu sehen. Ohne Uniform, versteht sich, ganz leger. Du musst ihr von Leipzig erzählen. Du weißt, sie kommt aus der Stadt. Aber deprimier sie nicht! Also nichts Negatives - genau wie bei in Lageberichten fürs Ministerium."

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87..... 88..... 89..... 90
Köln
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Leipzig
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Narff
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Berlin / Leipzig Frühsommer 89


Bisherige Kapitel mit Frederik:

Verweise zu eigenen Texten

 

"Ich habe lange Zeit geglaubt, meinem Vater etwas beweisen zu müssen: nämlich, dass man ein guter Kommunist sein kann, auch ohne den stalinistischen Methoden nachzutrauern. Er hat mich deshalb für einen Schwächling gehalten. Für ihn gab es nur das Glück der Partei, das mit allen Mitteln durchzusetzen war!"

"Und was gilt für dich das Glück der Partei, Frederik?"