Literarische Rezepte

 

 

 

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Die Mägen füllen


In vielen meiner Erzählungen und in den drei Romanen spielt die 'Nahrungszubereitung' eine große Rolle - nicht anders als bei anderen Erzählern zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden auch. Der Grund liegt auf der Hand: wir müssen regelmäßig essen. Kein Wunder also, dass dieses Grundbedürfnis in die Literaturgeschichte eingeht. Ich erinnere mich zudem an ein Kapitel von Norbert Elias' 'Prozess der Zivilisation', in dem er bestimmte Essensrituale (Stillsitzen, der Gebrauch von Messer, Gabel und Löffel, kein Rülpsen oder Furzen am Tisch etc.) als Mittel der 'Affektkontrolle' beschreibt. Ein Aspekt, der für Erzähler besonders wichtig ist. Nicht weniger wichtig ist die naive, sinnliche Freude am Essen. Ich erzähle von beidem.

 


 

(2) Pizza


Sie will Pizza machen, eine selbstgefertigte Pizza, belegt mit Gemüsen, beträufelt mit Olivenöl und bestreut mit Kräutern und geriebenem Käse. Mmhh!
"Trinkst du ein Glas Wein mit?" fragt sie.
Mir ist eher nach einem Bier, aber dann entscheide ich mich dafür, mich nicht weiter runterziehen zu lassen, sondern konstruktiv zu sein und an der neuen Beziehung mit all ihren Chancen und Möglichkeiten zu arbeiten.
"Gern. Soll ich dir helfen?"
"Nö. Ich mache die Pizza, und du erzählst mir, wie es mit deinen Kindern war."
Ich nicke dankbar, öffne eine Flasche Orvieto, italienischen Weißwein, den Franzi bei Aldi oder Lidl kauft, und schütte zwei Gläser ziemlich voll.
Dann erzähle ich von der Motocross-Begegnung mit Markus und dem Gangpferdturnier, das ich mit Nicole besucht habe. Ich erzähle von einem wunderbar harmonischer Tag, wie er besser nicht hätte sein können. Marianne erwähne ich mit keinem Wort. Franzi unterbricht mich einige Male, um nach Einzelheiten zu fragen. Unterdessen schüttet sie Mehl auf die Tischplatte, formt einen runden Kranz, gibt Olivenöl, Salz, Wasser und Hefe dazu und beginnt das Ganze dann von den Seiten her zu vermischen, bis ein knetbarer Teig von sanftgelber Farbe entsteht. Ich kann keinen Moment den Blick von ihren Händen lassen. Marianne würde eine Küchenmaschine nehmen und die Knethaken würden ihre Arbeit tun - sofern Marianne überhaupt auf die Idee käme, so etwas wie Pizza selbst zu machen.
Franzi nimmt ihre Hände, die langgliedrig und zupackend sind, wie ich mittlerweile weiß. Damit knetet sie den Teig, bis er nahezu bewusstlos vor ihr liegt. Zwischendurch stäubt sie immer wieder Mehl auf die Tischplatte: eine unglaublich anmutige Bewegung aus dem rechten Handgelenk, die eine Wolke von kleinsten Mehlpartikeln in den unendlichen, pinkfarbenen Kosmos der Sozialwohnungsküche hinausschießt, bis sie sich flirrend und überraschend friedlich über dem kleinen Tischchen niederlassen. Als Franzi den Teig knetet, kommt sie schnell in einen Rhythmus, der ihren ganzen Körper erfasst, und es gibt nichts auf der Welt, was ich in diesem Moment lieber wäre, als dieser Teigklumpen in ihren Händen.
Dann muss der Teig ruhen, und wir trinken unseren Wein.
"Zeig mir, was du gekauft hast."
Franzi lächelt in Vorfreude, nimmt noch einen kleinen Schluck und geht in den Flur, wo sie ein paar Tüten abgestellt hat. Wieder in der Küche zieht sie einen Stuhl heran, da die Tischplatte mit Mehl und Teigresten bedeckt ist.
"Zuerst für Benni: Strümpfe, Unterhosen und ein Kapuzenshirt von Nike. Hab ich zum halben Preis ergattert! Schön, nicht?"
Sie hält einen schwarzen Baumwollpullover mit anhängender Kapuze vor sich, damit ich es richtig sehen kann. Ich weiß nicht, ob sie mit 'Schön, nicht?' den halben Preis meint oder ob sie wissen will, wie mir das Ding gefällt. Markus fällt mir ein, der einen ähnlichen Pullover hat, in dessen Kapuze er sich gern liebend gern zurückzieht, wenn's mal kritisch wird.
"Ja, sehr schön", sage ich.
Franzi legt den Kopf schief, eine verlässliche stumme Geste, die zeigt, dass sie mir das nicht so ganz abnimmt.
"Ist es nicht gut gelaufen mit deinen Kindern?"
Ich schüttle entschieden den Kopf, leere mein Weinglas in zwei Zügen und gehe entschlossen zum Kühlschrank, wo ich mir eine Flasche Küppers Kölsch fische. Ich öffne sie und entschließe mich, ohne weitere Umstände aus der Flasche zu trinken, obwohl ich weiß, dass Franzi das nicht gerne sieht. Franzi lächelt milde, was mich reizt, weil mir weiß Gott nicht danach ist, milde belächelt zu werden.
"Was ist denn passiert, Hans?"
Sie streckt den rechten Arm nach mir aus: eine mir inzwischen schon vertraute Geste, um mich heim zu holen. Und wirklich, die Geste bringt mich wieder dazu, nach vorne zu schauen, auf das, was ich jetzt habe.
"Was passiert ist?" Mein Ton ist schon weniger harsch: "Nicole kann mit ihrem Vater nichts mehr anfangen, und Markus wird sich den Hals bei irgendwelchen illegalen Motorradrennen brechen!"
Danach gönne ich es mir, mich endlich von ihr umarmen zu lassen.
"Und daran bist du allein Schuld?"
"Wer sonst?" gebe ich zurück. "Wer sonst, verdammt?"
"Na, ich, zum Beispiel."
"Du?"
"Klar, wenn ich dich nicht angemacht hätte..."
Auf einmal kommen mir all diese Skrupel blödsinnig vor. "Ich bin nicht so gut drauf, tut mir leid, Franzi. Komm, zeig mir, was du noch gekauft hast."
"Gut." Sie schenkt sich zuerst noch Wein ein. Dann packt sie einen Milchtopf aus und fünf Pakete Barilla-Nudeln, die es in einer Sonderverkaufsaktion zum halben Preis gab.
"Und, hast du auch was für dich gefunden?"
"Langsam, langsam! Ich hab dir auch was mitgebracht!"
"Mir?" Ich bin überrascht und setze mich wieder. Seit dem unglücklichen Versuch mit dem Maibaum habe ich Franzi nie etwas mitgebracht. "Und was?" Franzi schiebt mir eine mittelgroße weiße Plastiktüte rüber, auf die ein rotes S gedruckt ist. "Wofür steht das S ?" will ich wissen. "'Sesam öffne dich?'"
"Schau nach!" Ich tue es und sehe etwas Rotes aus einem glänzenden Stoff. Diese Frau mag rot. "Na los, trau dich!"
Ich ziehe das Teil aus der Tüte, es wiegt so gut wie nichts, ein Hauch nur und doch brauche ich beide Hände, um zu sehen, was das eigentlich ist.
"Eine Unterhose?"
"Und was für eine!"
Das Ding, der Hauch, ist ein feuerroter String für Männer.
"Uff! - Und ich soll das tragen?"
Ich überlege, ob ich irgendwie dazu Anlass gegeben habe.
"Das würde mir gefallen, Hans. Sehr sogar."
"Dir würde wirklich gefallen, wenn ich so was trage?"
"Ich fände es super geil, Hans!"
Mir fällt ihre eigene beträchtliche Sammlung an Strings und Korsagen ein und ziehe Franzi sanft auf meinen linken Oberschenkel, wo sie mit dem Rücken zu mir zum Sitzen kommt. Franzi neigt sich nach hinten und bietet mir ihren leicht geöffneten roten Mund an. Wir küssen uns lange und heizen uns ganz schön an. Meine Linke hält ihren Rücken umfasst, dessen Rippenbögen ich deutlich durch die dünne Haut fühle. Meine Hand tastet sich bis zu ihrer Brust vor. "Du würdest es wirklich geil finden, wenn ich so was für dich trage?" Ich warte ihre Antwort nicht ab, sondern schiebe meine andere Hand unter ihren Jeansrock, um mir einen Vorgeschmack zu holen.
Aber Franzi schreit leise auf und zappelt sich dann frei aus unserer bisher so angenehm verschlungenen Sitzhaltung.
"Vorsicht, bitte!"
Ich verstehe nicht. "Was ist los?"
"Ich hab mir auch was gekauft. - Willst du sehen was?"


aus: 'Lucky in Kessel', Roman

 




(1) Kohlsuppe


(...) Helen war ein Gast gewesen.
Bernadette hatte aus dem Büro angerufen: Es werde noch dauern!
Bernhard antwortete: Es werde Kohlsuppe geben!
Bernadette stöhnte, und Bernhard schlug vor, wen auch immer, mitzubringen und nach der Suppe weiterzuarbeiten.
Also setzten sich Helen und ihr sächsischer Chauffeur an den Küchentisch, und Bernhard zählte auf: Schweineschulter, Lammkeule und ein fettes Huhn, reichlich Zwiebeln, ein paar Nelken, Lorbeer, Pfeffer, Salz, nicht wenige Kartoffeln, in Mengen Wirsingkohl und Schweinswürste ganz obenauf! Das Fleisch beiseite. Drei Tage Frikassee und kalt aufs Brot. Aber der Kohl und die Würste!
Helen hörte aufmerksam zu, verliebte sich, als Bernhard über den dampfenden Kessel gebeugt nach Würsten fischte, verliebte sich noch einmal, als er einen Schöpflöffel auf ihren Teller leerte, in dessen Mitte schon die Schweinswurst lag.
Wurde Bernhards Sehnsucht zu groß, rief er Helen an. Kam sie, stellte er ihr einen Teller von der Suppe hin, die sie hungrig aß, bevor sie sich liebten. Die Sehnsucht wurde gestillt, für zwei oder drei Wochen. Dann bestellte Bernhard frische Schweinswürste, kehrte vom Wochenmarkt mit einem türkischen Netz Wirsingkohl heim und schob den Suppentopf auf den Herd. (...)

Aus: Die Liebe am Nachmittag.
Liebesgeschichten. Kiepenheuer & Witsch, 1996


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