Slawa
Notizen
zu 'Russisches Golf'
Eine
meiner Golfgeschichten spielt auch in Russland. Sie führt drei
Personen zusammen: Ruth, die aus der früheren DDR stammt und im
Westen nach dem Sinn des Lebens sucht, Egon Züblikon, der ein deutscher
Zöllner ist und dabei wie ein tumber Tor wirkt, aber keiner ist,
und eben Kolja Kuronowski, seines Zeichens Ringer, Radfahrer und Poet,
nebenbei
einer der Bosse der Moskauer Unterwelt.
Es
gibt in der russischen Geschichte den Begriff der 'Diebe
im Gesetz', der für eine Art von Paten
steht, die der organisierten Kriminalität vorstehen. Für das
Klima der Geschichte spielen jedoch noch weitere - ganz unterschiedliche
Bereiche - eine Rolle, über die ich im Folgenden Auskunft gebe:
Neben
dem Aspekt Golf (zu meiner Erleichterung gibt
es mittlerweile einen 18-Loch-Platz in Moskau - Le Meridien, der zu
einem Luxusresort im Gebiet Nakhabino gehört, westlich der Moskauer
City, im Distrikt Kransnogorsky), spielte für mich die Erinnerung
an den russischen Lyriker Wjatscheslaw Kuprijanow
eine Rolle, den ich im Sommer 1997 im Künstlerhaus des Landes NRW
in Schöppingen traf.
Slawa, wie er von den anderen Artists in residence
genannt wurde, war ein freundlicher, umgänglicher Herr Ende
fünfzig, zurückhaltend, aber auch sehr humorvoll. Er war damals
gerade sehr erfolgreich - mit einem Lyrikband an der Spitze der SWF-Bestenliste
und eingeladen zu einem Lyriker-Treffen nach Kanada. Dennoch merkte
man ihm - in Gesprächen über die aktuelle Entwicklung in seiner
Heimat - eine fundamentale Kränkung an, die ihm im Russland Gorbatschows
widerfahren sein musste. Ich wusste, dass Slawa im kommunistischen Moskau
zu den priviligierten Intellektuellen gehört hatte. Verheiratet
mit einer Opernsängerin lebte er im Prominentenviertel, hielt sich
aber in Distanz zum Regime.
Slawa
sprach fließend deutsch. Er hatte deutsche Klassiker ins Russische
übersetzt und war seinerseits in der DDR übersetzt worden.
Im Russland der Vor-Gorbatschow-Ära hatte er - wie andere Dichter
auch - eine beträchtliche Popularität genossen. Dies galt
vor allem für sein berühmtes Hippo-Gedicht:
ein vielstrophiges Poem über die 'Nilpferdisierung' des Kommunismus.
http://www.alb-neckar-schwarzwald.de/poetas/kuprijanow/hippo.html
Wjatschelaw
Kuprijanow ist als ein "Autor auf Wanderschaft" bezeichnet
worden. Er wurde als Sohn eines Ärzteehepaares in Novosibirsk geboren.
Als er drei Jahre alt war, fiel sein Vater 1942 an der Front. Nach dem
Militärdienst studierte er in Moskau Deutsch, Französisch
und Linguistik. Ab 1967 war er als freier Schriftsteller und Übersetzer
tätig, vor allem aus dem Deutschen (Hölderlin, Rilke, Brecht,
Enzensberger u. a.).
Es
liegen zahlreiche
Veröffentlichungen vor und Übersetzungen in mehrere Sprachen.
Kuprijanow ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.
Mit
dem Ende des Kommunismus in Russland nahm bekanntlich der Reiz von Literatur
als Forum für abweichende Meinungen stark ab. Slawa sah sich wie
andere Künstler und Literaten gezwungen, durch die halbe Welt zu
reisen, um überleben zu können. Für den Sommer 97 hatte
er ein Stipendium in Schöppingen erhalten, und so lebten wir einige
Zeit Tür an Tür. Zusammen gingen wir schwimmen, spielten Fussball
oder Boule (manchmal auch 'en familie'). Denkwürdig wurde jener
Tag, als Gia ihm eine Boulekugel auf den Kopf warf.
Dennoch
gelang es uns die Arbeit an einem gemeinsamen Lyrikprogramm fortzusetzen:
Angenähert an bestimmte Motive wie Nation, Generation,
Heimat, Liebe, Natur stellten wir unsere oft sehr unterschiedlichen
Erfahrungen gegeneinander. Wir präsentierten dieses Programm einige
Male in der Öffentlichkeit des Künstlerhauses, und es waren
(wie ich glaube) für alle Beteiligten beeindruckende Abende.
Er war in seiner Armeezeit zu einem Ringer ausgebildet
worden, und auch jetzt noch war der untersetzte Mann in tadelloser
Verfassung. Da er in Schöppingen kein Auto besaß, hatte er
sich ein Fahrrad beschaft und unternahm damit abenteuerliche Ausflüge,
bei denen niemand wusste,
wohin ihn sein Weg führte - über den ausgedehnten Campus des
Künstlerdorfes ebenso wie durchs Münsterland. Er mochte Kinder
und Kinder mochten ihn.
Dabei
zeigt ihn ein Foto in der Tat wie einen sizilianischen 'Paten' - und
dies mag der letzte Aspekt für mich gewesen sein, ihn gewissermaßen
zum physischen Vorbild für den Russen in meiner Erzählung
zu machen. Er mag es mir verzeihen!
Der
biografische Hinweis soll zugleich deutlich machen, dass der wirkliche
Wjatscheslaw Kuprijanow nichts mit dem Kolja zu tun hat, den ich beschreibe:
Kolja ist eine Transformation, die für mich
schon deshalb als literarische Technik notwendig ist, weil sie mir Freiheit
gewährleistet: nämlich literarisch weiter auszugreifen, als
es mir der Bezug auf eine simple Realität ermöglichen könnte.