Aus
den Kritiken
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1.
Zu: Patrizia sagt
2.
Zu: Die Liebe am Nachmittag.
"Fürchterlich
und komisch zugleich"
Andreas
Graf über 'Patrizia sagt' ('Kölner Illustrierte', Mai 89).
Vorweg
zunächst: Wer von ihnen, sehr geehrtes Lesepublikum, der Meinung
ist, lebendige deutsche Schriftsteller seien entweder jugendliche Hasardeure
und Selbstaufschlitzer oder kluge Rauschebärte, die in Fernsehprogrammen
unentwegt Nachdenkliches von sich geben, Leute also, die die Alltagsprobleme
von uns Sterblichen entweder untertauchen oder überfliegen, wer dies
glaubt, der sei mit Langer nachdrücklich darauf hingewiesen: "Es
wird übersehen, dass Schriftsteller verdauen müssen wie andere
auch. Allenfalls leiden sie häufiger daran."
Nun gibt es, zugegeben, reichlich deutsche Romane, deren Hauptgestalten
deutsche Schriftsteller sind; Grass, Handke, Goetz, Modick und Lottmann,
um nur einige aus den letzten Jahren zu nennen, haben solche vorgelegt.
Jochen Langer ist dennoch mit seinem Erstling "Patrizia sagt",
für dessen Manuskript er bereits 1986 das Kölner Rolf Dieter
Brinkmann-Förderstipendium erhalten hatte, ein Buch gelungen, das,
soweit ich sehe, in der deutschsprachigen Literatur einzig dastehen dürfte:
Langer hat die Gegenwart in literarischer Form abgeliefert. Entstanden
ist ein kleines und klares Prosawerk, dessen facettenartig ineinandergreifende
Kurzkapitel ein vielschichtiges, immer ironisch gebrochenes Berufsbild
der literarischen Zunft entwickeln.
Der Ich-Erzähler des Buches - Vorsicht! es handelt sich hierbei nicht
um den Autor, auch wenn Seite 95 dessen Köln-Lövenicher Anschrift
als die des Erzählers präsentiert wird - erhält von einem
"etwas heruntergekommenen Magazin" den Auftrag für einen
längeren Artikel: "Über ein Schriftstellerleben. Idealtypisch
kann es sein oder von lügnerischem Realismus. Oder beides. Nur gut
muss es sein." Dies ist zugleich, literarisch gewendet, die Vorgabe
des Romans.
Denn um einen Roman handelt es sich natürlich, nicht um irgendeinen
Sachtext oder gar Bekenntisschmöker. Und was wir von einem Roman
erwarten, ist darin enthalten: eine kleine feste Liebesgeschichte, zu
der einige besonders gut gelungene, nüchternpoetische Liebesszenen
gehören; Geschichten aus dem Leben, etwa die von dem Heizungsableser,
die über den Bauern auf Elba, die über den Vater; und selbstverständlich
eine Auseinandersetzung mit den umlaufenden Vorstellungen der Öffentlichkeit
von Schriftstellern sowie der Schriftsteller vor ihrer Aufgabe. Alle bekommen
ihr Fett, Namensnennung wird nicht gescheut.
Über Handke: "Dem es bei seinen Auftritten scheinbar mühelos
gelingt, sich um fünfzig oder mehr Jahre zu verjüngen."
Über Wallraf und Delius: "Juristische Fachliteratur." Über
Koeppen: "Der seine größten Erfolge mit einem Jahrzehnte
währenden virtuosen Schweigen hatte." Oder über Grass:
"Dessen erste Veröffentlichung nach der Wende war das Parteibuch."
Diese aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate sind natürlich nicht
einfach wohlfeile Statements des Autors Langer; sie sind vielmehr stets
Bestandteil der Figurenrede des Romans und als solche eingeflochten in
die Gesamtfiktion. Ihr Doppel- und Hintersinn - wie überhaupt der
fast aller Beschreibungen, zumindest in der ersten Hälfte des Buches
- enthüllt sich erst, wenn wir uns die Perspektivierung der Aussagen
verdeutlichen. Wesentliches Konstruktionsprinzip des Romans ist es nämlich,
jenen Ich-Erzähler - eine Art Mischung aus Thomas Mann und Grass,
mit einem Schuss Johnson: ein erfolgreicher Großschriftsteller jedenfalls
- der uns zu Anfang begegnet und in dem wir einen immer unerträglicher
werdenden Schwadroneur vor uns haben, fortschreitend zu demontieren.
Dahinter kommt, zunächst unmerklich, ein anderes, jüngeres,
verletzlicheres Ich zum Vorschein, das sich der Voraussetzungen seines
- nicht nur schriftstellerischen - Tuns längst nicht so sicher ist
wie sein älteres, schon etwas satt gewordenes alter ego. Wesentliche
Irritationen, die auch die Stärke des Buches ausmachen, beruhen auf
dieser Konstruktion. Der Leser kann sich nämlich zu keinem Zeitpunkt
wirklich sicher sein, welchem Erzähler er gerade zuhört: dem
arroganten alten oder dem ketzerischen jungen Schreiber, oder etwa gar
dem Autor Langer selbst.
Was diesen Roman außerdem - und zwar sehr wohltuend - von vielen
Neuerscheinungen der letzten Jahre unterscheidet, ist die fortwährende
Bemühung um modernes, also zeitangemessen-kritisches Erzählen
sowie das durchlaufende Dialogprinzip, durch das Einzelpositionen immer
wieder aufgebrochen und unterlaufen werden. Beides ist voneinander abhängig.
Der Titel deutet es an: die Ehefrau des Großschriftstellers, die
sich ebenfalls im Verlauf der Erzählung von einer wohlsituierten
Bankangestellten zu einer kritischen jungen Frau wandelt, bietet allen
allzu flotten Verlautbarungen Paroli. Patrizia sagt meist das Widerborstige.
Es ist dies nicht ein beliebiger, austauschbarer Einfall des Autors Langer.
Es handelt sich vielmehr um ein Prinzip, welches Erzählen - eben
auch das Erzählen Langers selbst - als Gesprächsangebot versteht,
als Beitrag zu einem Dialog, Verständigung über Gegenwart. Solches
ist längst nicht mehr selbstverständlich; viele junge Autoren
begreifen sich eher als willfährige Handlanger des Zeitgeistes, als
dass sie als dessen Kritiker aufträten. Patrizia sagt: "Man
kann nicht sein Leben lang neu anfangen. Wer so etwas behauptet, hat keine
Kinder!"
Natürlich hat das Buch auch Schwächen. Man wünschte sich
beispielsweise die Konfrontation der beiden Icherzähler-Identitäten
manchmal etwas härter, kompromissloser; auch könnte es dem Buch
nur gut tun, wenn die Geschichte des Jüngeren bereits von Beginn
an präsenter wäre. Vor allem aber wünschte man sich, dass
der Autor seinem Fabuliertalent noch etwas häufiger die Zügel
schießen ließe, denn Langer kann wunderschöne Geschichten
erzählen. Zu den bewegendsten gehört jene, in der er Werdegang
und Ende des Vaters - eines erfundenen, Langer würde sagen: erlogenen
- eines der beiden Erzähler beschreibt: zehn glanzvolle Seiten moderner
poetischer Realismus.
Das Buch ist in allen seinen Geschichten immer auch eine Auseinandersetzung
mit den Möglichkeiten der Darstellung von Wirklichkeit. Jede Geschichte
ist eingebunden in diesen immanenten Diskussionszusammenhang; Erzählen
ist nie, so eigenständig es auch betrieben wird, Selbstzweck. Die
sprachmächtigen, im historischen Raum angesiedelten Epopöen
eines Ransmayr oder Süskind mögen ihren unterhaltenden Reiz
haben; Beiträge zur Weiterentwicklung der modernen Prosa sind sie
ebenso wenig wie zur Durchdringung unserer Gegenwart. Die Lektüre
"Patrizia sagt" dagegen vermittelt eine Ahnung davon, wie ein
hochbewusstes und zugleich pralles Erzählen unseres Alltags aussehen
könnte. Langer, der, wie man hört, sich in letzter Zeit mit
dem Verfassen von Hörspielen etwas zu verzetteln scheint, möge
weitere Romane schreiben. Er kann es.
Agnes
Hüfner über 'Patrizia sagt' (in der Süddeutschen vom 16.
Juni 1989)
(...)
Der Ich-Erzähler, ein nicht gerade arrivierter Autor, übernimmt
für ein "etwas heruntergekommenes Magazin" einen Auftrag:
"Also. Über ein Schriftstellerleben. Idealtypisch kann es sein
oder von lügnerischem Realismus. Oder beides. Nur gut muss es sein,
denn es wird gut bezahlt." Der banale Einfall, ein Schriftsteller
beschreibt für ein ordentliches Honorar ein Schriftstellerleben,
bildet den Ausgangspunkt und die Leitidee der Geschichte. Aus dem abgehalfterten
Stoff macht Jochen Langer eine rundum gelungene Satire.
Er
schildert den fiktiven Lebenslauf eines Schriftstellers. Aufs Vergnüglichste
legt er darin auseinander, dass das unwiderstehliche, und immer einmal
wieder aktuelle Bedürfnis von Leser und Literaturbetrieb, einen Schriftsteller
durch seine Biographie zu begreifen, vergebliche Liebesmüh ist. (...)
'Patrizia
sagt' ist Jochen Langers erster Roman. Die Komik im Verhalten von Schriftstellern,
die er beschreibt, würde allein das Buch nicht so witzig machen.
Witzig wird die Sache dadurch, dass er ihnen die Ernsthaftigkeit
nicht einräumt, mit der sie diese Lebensweise in der Regel praktizieren.
Cornelia
Beuel über 'Patrizia sagt' (im Deutschlandfunk: 'Büchermarkt',
vom 13.7.1989)
(...)
Der Text ist unruhig, brüchig, voller Abschweifungen. Nur der personenbezogene
Titel des Romans 'Patrizia sagt' bildet gewissermaßen das Rückgrat
von Jochen Langers Text. Die Darstellung teilt sich, in das, was der Ich-Erzähler
schildert und in das, was Patrizia sagt. Sie ist das sprechende Korrektiv
zu seinen schriftlichen Fingerübungen.
Jochen
Langers Roman zersplittert zwischen Erzählung und Reflexion, Beschreibung
und Betrachtung, zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Einiges wird durch
eingestreute Rückblenden erinnert. Familiengeschichte, studentische
Protestgeschichte, die literarischen Anfänge und die Anfänge
der Liebe zu Patrizia werden in fragmentierten Erinnerungsbildern eingeholt
und über das ganze Buch verteilt. Die Reminiszenzen des Ich-Erzählers
an die übermächtige Vaterfigur, an dessen Nazivergangenheit
und an den Terror der väterlichen Waschneurose, die seine Kindheit
überschattete, gehören zu den atmosphärisch dichtesten
Passagen des Buches. Sie leben von einer metaphorisch-konkreten und sinnlich-präzisen
Sprache. Es entsteht ein rudimentärer Entwicklungsroman in einer
offenen Erzähllandschaft. (...)
'Patrizia
sagt' ist ein Roman, der durch die selbstironische Gebrochenheit des Erzählers
überzeugt und in seiner zündenden Situationskomik und bissigen
Marktkritik nicht nur schmunzeln, sondern auch nachdenklich macht. Dieser
Roman ist ein Votum gegen die manischen Pamphlete über das Ende der
Literatur und zugleich eine Absage an die weihevolle Beschwörung
einer Zeit, als das Erzählen noch geholfen hat.
Jochen
Schimmang über 'Die Liebe am Nachmittag' (in der Süddeutschen,
vom 6.11.96)
(...)
Jochen Langer wollte aber lieber eine Reihe von Geschichten erzählen,
und in einigen Fällen ist ihm dabei jene Literatur gelungen, die
nun seit geraumer Zeit immer wieder eingefordert wird: Geschichten, die
inhaltlich wie formal und sprachlich auf der Höhe der Zeit sind.
Inhaltlich, weil sie die Liebe, die der verbindende Stoff aller Texte
ist, nicht aus dem Koordinatensystem heraushebt, in das sie in der Realität
nun einmal gebunden ist, einem Koordinatensystem von Macht, Geld und sozialen
Bindungen. Dieser Autor kennt sich aus in der Welt, deshalb kann er darüber
schreiben und muss nicht wie andere über das Schreiben schreiben.
Formal, weil dabei doch keine Eins-zu-eins-Schilderungen herauskommen
und uns nicht etwas erzählt wird, was wir schon längst wissen;
in den besten Geschichten wird die Realität auch immer überschritten.
Die Verbindung von Welthaltigkeit und literarischer Phantasie also, was
will man mehr.
Sprachlich, weil Langer der ganze Kanon von der ernsten über die
ironische bis zur satirischen Sprechweise zur Verfügung steht.
Mit einem Wort, ein Autor, der, wenn er denn auf der Höhe ist, wirklich
auch auf der Höhe der Zeit ist.
Agnes
Hüfner über 'Die Liebe am Nachmittag' (im WDR, 'Buch der Woche',
vom 22.11.96)
(...)
Das Vergnügen beim Lesen der Geschichten besteht in der Art und Weise,
wie der Autor über die Liebe redet. Er erzählt in ruhigem Ton,
ohne Aufhebens und große Worte, von der Liebe als einem Ereignis,
das die Menschen aus heiterem Himmel befällt oder ihnen abhanden
kommt durch Unaufmerksamkeit und Gewohnheit. Er erzählt Geschichten,
die jeder zu kennen glaubt.
Aber damit führt er den Leser aufs Glatteis, denn keine seiner Figuren
benimmt sich wie im wirklichen Leben. Niemand gerät außer Rand
und Band, wird himmelhochjauchzend zutodebetrübt. Noch die verrücktesten
Konstellationen - der Mann aus Medellín und das Hausmütterchen
aus Baden-Baden - wirken wie selbstverständlich.
Die Liebe, macht Langer uns vor, ist etwas durch und durch Unerklärliches,
aber so ungewöhnlich doch nicht, dass sie die Konventionen sprenge.
Für einen Autor, der 43 Jahre alt ist, klingt das ziemlich weise.
Roland Mischke über 'Die Liebe am Nachmittag' (im Handelsblatt, 27./28.12.96)
(...)
Die meisten der Langerschen Geschichten sind dicht und atmosphärisch
erzählt. Einige erscheinen nicht ganz gelungen. Andere verdienen
den Ausdruck grandios. Der Autor schildert vor allem vorzüglich die
rätselhafte Logik der Gefühle. Vor der Liebe ist in Wahrheit
kaum eine/r geschützt. Sie ist ein Urgefühl, das sich nicht
verdrängen lässt.
Wer so lebensklug und amüsant über Liebe und Triebe, Erotik
und Verklemmtheit schreiben kann, sollte auch einen Text mit langem Atem
verfassen, einen Roman. Jochen Langer sollte beweisen, dass er das kann.
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